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Zeit, über Geld zu reden.

Eintauchen in eine andere Zeit

Plötzlich gelten die 80er-Jahre wieder als hip. Warum wiederholen sich Modetrends? Die Zukunftsforscherin Senem Wicki erklärt es mit der Sehnsucht nach Nostalgie, nach Vertrautem.

Bass, Beat und Synthesizer: Die Songs junger Popstars wie The Weeknd, Dua Lipa und Ava Max klingen genauso nach 80er-Jahren wie «Running up that Hill» von Kate Bush. Der Song ist bald 40 Jahre alt und stürmte 2022 nochmals die Charts, nachdem er in der 80er-Retro-Netflix-Serie «Stranger Things» einen Auftritt hatte.

Senem Wicki ist zwar nicht Musikerin, befasst sich aber als Zukunftsforscherin mit dem Wandel. Warum erleben wir immer wieder Nostalgiewellen? Warum feiern die 80er-Jahre ihr Comeback? «Früher galt die Faustregel: Die Mode wiederholt sich alle 18 Jahre», sagt Wicki – und das habe seinen Grund: «Nostalgie bedeutet Heimat. Es gibt Untersuchungen, die einen schmerzlindernden Effekt des Nostalgiegefühls nachweisen.» Die Zukunft habe immer eine Herkunft. «Unsere Kultur entwickelt sich nicht auf der grünen Wiese, wir bauen Neues immer ein Stück weit aus Bestehendem.»

Von «in» zu «out»

Technologische und kulturelle Entwicklungszyklen verkürzen sich laut Wicki, weswegen sich auch der «Zeitgeist» schneller wandelt. Dieses Tempo fordert uns Menschen heraus, denn die meisten wollen dem Zeitgeist entsprechen: «Zwar könnten wir in der individualisierten Gesellschaft alle unseren persönlichen Zeitgeist erfinden. Doch wir sind Herdentiere und möchten dazugehören», meint Wicki. «Eingefleischte Gewohnheiten sind träger als der schnelle Zeitgeist. Darum kann es uns schwerfallen, Neues nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern auch umzusetzen. Deshalb hat sich beispielsweise die gendergerechte Sprache noch nicht durchgesetzt.»

Wieso überdauern gewisse Traditionen alle Zeitenwechsel – und andere nicht? Wicki verweist auf die Grundbedürfnisse: «Wir schütteln uns wieder die Hände, was wir während der Corona-Pandemie nicht für möglich gehalten hätten. Wieso? Wir haben den tiefen Wunsch nach Verbindung zu anderen.» Hingegen hat der Ticketschalter fast ausgedient. Billette erwerben mittlerweile die meisten übers Handy. «Wenn ein neuer Kontext eine bessere Lösung anbietet, wird die alte zum Auslaufmodell.»

USA – kein Trendsetter mehr

Vorbei ist allerdings die Zeit, aus der alle Trends aus den USA kommen. Trends treten in der global vernetzten Welt gleichzeitig auf, fragmentierter und weniger eindeutig, wie Wicki konstatiert: «Die USA und Asien mögen führend sein bei künstlichen Intelligenzen. Aber gesellschaftliche Entwicklungen werden heute oft in Skandinavien vorangetrieben. Wir müssen nicht mehr nach Los Angeles, um Trends aufzuspüren. Vielmehr stecken Spuren der Zukunft schon heute in unserem Alltag. Wir sollten darum alle Zukunftskompetenz entwickeln – also antizipieren, was die Zukunft bringt. Das hilft, aktiv zu gestalten, wie wir ihre Chancen nutzen können.» Hierfür empfiehlt Wicki auch das Tagträumen: «Fragen wir uns beim Aufstehen: Was wäre, wenn ...? Wie könnte mein Alltag in fünf Jahren aussehen? Je öfter wir uns die Zukunft in unterschiedlichen Versionen vorstellen, desto grösser wird unser Vorstellungsvermögen.»

Senem Wicki ist diplomierte Kaospilotin, Innovationsexpertin und Zukunftsforscherin. Sie ist Mitinhaberin von kühne wicki Future Stuff.