CIO Kommentar, Montag, 20. September 2021
Der Gründer von Evergrande Prof. Hui Ka Yan ist mit einem geschätzten Vermögen von etwa 7.5 Milliarden USD einer der reichsten Männer der Welt (Rang 358 gemäss Bloomberg). Der 1958 geborene self-made Unternehmer ist als Waisenkind aus tiefster Armut zu einem der reichsten Männer der Welt aufgestiegen. Man sagt ihm nach, dass er Angestellten, die seinen Anruf nach dreimal klingeln nicht annehmen, eine Busse von etwa 3000 USD in Rechnung stellt. Er ist weiterhin grösster Aktionär und Verwaltungsratspräsident, des von ihm mit einer Handvoll Angestellten gegründeten Unternehmens. Das Unternehmen Evergrande ist auf Platz 122 der Fortune 500 Liste der global umsatzstärksten Unternehmen. Evergrande ist somit grössenmässig in der Liga der Münchner Rückversicherung (Platz 117) oder Procter & Gamble (Platz 128). Der Mischkonzern mit Sitz in Shenzhen ist in all jenen Branchen aktiv, welche das chinesische Wirtschaftswunder angefacht haben: Immobilien, Technologie, Elektroautos, Unterhaltung (Vergnügungsparks), Retail Finanzprodukte.
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Der Aktienkurs von Evergrande hat in den letzten Monaten etwa 90% an Wert verloren. Grund dafür ist die Schwierigkeit das Fremdkapital zu refinanzieren, nachdem die chinesische Regierung konsequent die Spielregeln im Immobilienbereich verschärft hat, um den Trend zu immer höherem Einsatz von Fremdkapital einzudämmen. Dazu kommen Aussagen der Regierung, dass sie nicht zu viele Hersteller von Elektroautos möchte. Das Unternehmen hatte zwar schon im Frühling die Zeichen der Zeit erkannt und versuchte seinen Verschuldungsgrad zu reduzieren. Mit einem Bonitätsrating von «single B» war das Unternehmen schon seit Jahren Emittent von hochverzinslichen Anlagen. Die Aussagen der chinesischen Regierung und die Herabstufungen durch die Rating Agenturen im Sommer von B auf C haben ebenfalls dazu beigetragen, den Ausblick für Evergrande einzutrüben.
Die Auswirkungen auf den Anleihenmarkt in China im Segment hoher Bonität sind derzeit kaum spürbar. Im Segment hochverzinslicher Anleihen sind hingegen die Anleihen von Unternehmen mit ähnlichem Profil wie Evergrande von den Entwicklungen mitbetroffen. Eine systemische Ansteckung des chinesischen Finanzsektors aufgrund einer Insolvenz von Evergrande ist nicht absehbar. Es ist zu erwarten, dass die Regierung die Situation unter Kontrolle halten wird, um zu verhindern, dass das Problem grössere Kreise zieht. Die Retail Obligationen Anlagefonds von Evergrande enthalten auch Anleihen des eigenen Unternehmens und sind jetzt in Schieflage.
Dieses offensichtlich etwas dubiose Finanzierungsmodell hat zu wüsten Bildern von Kleinanlegern geführt, die den Hauptsitz von Evergrande in Shenzhen belagern. Das hat zwar viel mediales Aufsehen erregt, die Bilder legen den Fokus aber auf eine wenig bedeutsame Randaktivität von Evergrande.
Es wird nun interessant zu beobachten sein, wie China mit dieser Situation umgehen wird. Wird das Unternehmen durch ein staatsnahes Unternehmen ganz übernommen oder kommt es zu einer privaten Lösung mittels Verkauf eines Teils der Unternehmenswerte? Bei Evergrande dürften die Telefone gegenwärtig wohl heisslaufen und schon nach dem ersten Klingeln entgegengenommen werden.
Dass die Liquiditätsprobleme von Evergrande als Erklärung für die heutigen Verluste an den Aktienmärkten herhalten müssen, ist zwar wenig überraschend, als Erklärung jedoch nicht überzeugend.
Die wirtschaftliche Erholungsdynamik dürfte gerade ihren Zenit überschritten haben. Zwar wird auch das nächste Jahr 2022 noch von mehr Wachstum profitieren aber für die Zeit danach ist die Sorge über das tiefe strukturelle Wachstum und die gestiegene Staatsverschuldung in den USA und in Europa wiedererwacht.
Diese Rahmenbedingungen verringern den Handlungsspielraum für neue staatliche Konjunkturimpulse und erhöhen die Wahrscheinlichkeit künftiger Steuererhöhungen.
Obwohl die Politik im Wahlkampf oft suggeriert, dass die Eindämmung des Klimawandels eine Chance für mehr Prosperität sei, darf man nicht vergessen, dass dies anfänglich mit erheblichen Kosten verbunden sein wird. Dabei dürfte eine Verdrängung oder Vertagung des Problems bloss zu noch viel höheren Kosten in der Zukunft führen. Beides ist aber einem euphorischen Ausblick für das künftige Wirtschaftswachstum und der Entwicklung der verfügbaren Einkommen wenig zuträglich. Schliesslich ist es wenig plausibel, dass uns die Bekämpfung des Klimawandels kurzfristig und volkswirtschaftlich betrachtet unter dem Strich reicher machen sollte.
Das Aktien-Kursfeuerwerk der letzten Monate könnte somit zu einem Stillstand kommen. Die weiterhin immense Zufuhr von Spargeldern zur Altersvorsorge und das nach wie vor robuste globale Wachstum lassen aber Aktienanlagen mittelfristig sinnvoll erscheinen.
Dieser von vielen institutionellen Anlegern geteilte strategische Ausblick, sollte das gegenwärtige Verlustpotenzial erheblich reduzieren.
Die Aktienmärkte eröffnen heute in Europa mit deutlichen Verlusten. Der SMI verliert aktuell etwa 1.7 % und der DAX über 2%. Für die US-Aktienindices wird heute Nachmittag ebenfalls eine deutlich negative Eröffnung erwartet (Stand ca. 13:00, 20.9.2021, Basel Zeit).